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Dipl.-Finw. Markus Perschon, Steuerberater, Escheburg
Jahrgang: 2024 . Seite: 529
Die Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 175 b Abs. 1 AO ist auch zulässig, wenn die unzutreffende Berücksichtigung der von einem Dritten übermittelten Daten auf einen Fehler der Finanzbehörde zurückzuführen ist. BFH-Urt. v. 20.2.2024 - IX R 20/23, BFH/NV 2024, 951 I. Vorbemerkungen 1. Elektronische Datenübermittlung und ...

Dipl.-Finw. (FH) Michael Seifert, Steuerberater, Troisdorf
Jahrgang: 2023 . Seite: 501
Das BMF wird aufgefordert, dem Revisionsverfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und - wenn ja - unter welchen Voraussetzungen ein äußerer Betriebsvergleich in Gestalt einer Schätzung anhand der Richtsätze der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF zulässig ist. BFH-Beschl. v. 14.12.2022 - X R 19/21, DStR 2023, 517 I. Vorbemer ...

AktStR: Dr. Michael Messner, Notar, RA, FAStR u. FAErbR, Hannover, 2023 S. 335: Haftung von GmbH-Geschäftsführern und Steuerberatern Haftung von GmbH-Geschäftsführern und Steuerberatern Dr. Michael Messner, Notar, RA, FAStR u. FAErbR, Hannover Jahrgang: 2023 . Seite: 335 Zur PDF-Fassung dieses Beitrages. Der Geschäftsführer einer GmbH kann sich gegenüber der Haftungsinanspruchnahme nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeit en nicht in der Lage gewesen sei, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme der Geschäftsführung absehen bzw. das Amt niederlegen. BFH-Beschl. v. 15.11.2022 - VII R 23/19, Juris (Fall I) Ein mit der Lohnbuchführung beauftragter Steuerberater darf nicht über die Frage der Sozialversicherungspflicht beraten, muss aber Schadensersatz leisten, wenn er bei Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art nicht die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts empfiehlt. Dies kann sich insbes. bei Gesellschafter-Geschäftsführern einer GmbH ergeben, die nicht wenigstens über eine gesellschaftsvertragliche Sperrminorität verfügen. Als Schaden kommen Sozialversicherungsnachforderungen in Betracht, die mit einer rechtzeitigen Umgestaltung des Gesellschaftsvertrags verhindert worden wären. OLG Hamm, Urt. v. 8.4.2022 - 25 U 42/20, DStRE 2022, 1465 (Fall II) I. Vorbemerkungen 1. Haftung der Geschäftsführer bei Pflichtverletzungen Der GF einer GmbH hat nach § 34 AO die steuerlichen Pflichten der Gesellschaft zu erfüllen. Er hat insb. die Pflicht, die Steuern aus den Mitteln der GmbH zu bezahlen. Die vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung dieser Pflicht begründet eine unmittelbare persönliche Haftung des GF ggü. dem Fiskus, soweit infolge der Pflichtverletzung Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Vergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden, § 69 AO.  § 34 Abs. 1 AO „Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.“   § 69 AO - Haftung der Vertreter „Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.“ Beratungshinweis: Ausgleich des Schadens Die Haftung nach § 69 AO hat Schadensersatzcharakter. Ziel der Vorschrift ist es, Steuerausfälle auszugleichen, die durch schuldhafte Pflichtverletzungen der in § 34 AO bezeichneten Organe verursacht worden sind. a) Steuerausfall durch Pflichtverletzung Eine Haftung kommt allerdings nur in Betracht, wenn zwischen der Pflichtverletzung und dem Steuerausfall als dem auszugleichenden Schaden ein Kausalzusammenhang besteht. b) Grundsatz der anteiligen Tilgung Die Pflicht zur Entrichtung der Steuern erstreckt sich nur auf die vorhandenen Mittel der Gesellschaft. Reichen diese nicht aus, um alle Schulden zu bezahlen, ist der GF nicht verpflichtet, den Fiskus vorrangig zu befriedigen. Andererseits darf er aber auch nicht Forderungen anderer Gläubiger bevorzugt begleichen. Hier gilt nach ständiger Rspr. des BFH der Grundsatz der anteiligen Tilgung , d.h., der GF muss das Finanzamt quotenmäßig befriedigen. Behauptet das Finanzamt, der GF habe diesen Grundsatz verletzt, trägt es die objektive Beweislast ( Feststellungslast) für den Umfang einer etwaigen Benachteiligung. Stehen überhaupt keine Mittel zur Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung, so entfällt die Haftung mangels Pflichtverletzung. c) Sonderfälle (1) Lohnsteuer Da es sich bei der LSt um eine treuhänderisch vereinnahmte Abzugsteuer handelt, hat in diesen Fällen der GF grds. die Löhne insoweit zu kürzen, als eine Abführung der LSt gesichert ist.  Dabei ist die Haftung auf die Beträge beschränkt, die der GF bei Kürzung der Nettolöhne an das Finanzamt hätte abführen können.  Der Grundsatz der anteiligen Tilgung gilt bei der LSt nicht. (2) Insolvenzverschleppung Eine weitere in der Praxis häufig auftretende Situation, in der der Grundsatz der anteiligen Tilgung nicht gilt und den GF daher die volle Haftung trifft, liegt vor, wenn der GF trotz Eintritts der Insolvenzreife der GmbH die Geschäfte fortführt. Hier verletzt er i.d.R. vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Pflicht, Geschäfte nur zu tätigen, wenn ihm für die daraus folgenden Steuern auch die Mittel zur Verfügung stehen. Das Zivilrecht sieht eine volle Haftung für die Schäden durch Geschäftstätigkeiten nach Insolvenzreife ggü. den Neugläubigern vor.  Die zivilrechtlichen Haftungsgrundsätze sind dem Grunde nach auch auf die steuerliche Haftung des GF übertragbar.  Im Hintergrund steht der Gedanke, dass bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung keine weiteren Verpflichtungen ggü. den Neugläubigern und damit auch keine Schäden entstanden wären. Für die Haftung für Steuerschulden nach §§ 34, 69 AO kommt es jedoch nicht nur auf die Verletzung der handelsrechtlichen Pflicht zur Insolvenzantragstellung gem. § 15 a InsO an. Steuerlicher Anknüpfungspunkt ist vielmehr die Mittelvorsorgepflicht, d.h., der GF ist verpflichtet, für das Vorhandensein von Mitteln bei Fälligkeit der entstandenen Steuern zu sorgen.  Bei Insolvenzreife der Gesellschaft hat dies zur Folge, dass er nur Geschäfte tätigen darf, wenn er zugleich Mittel besitzt, die für die Bezahlung der aus dieser Geschäftstätigkeit folgenden Steuern zur Verfügung stehen. Je nach den Umständen des Einzelfalles kann ein bestimmtes pflichtmäßiges Verhalten des GF auch schon vor der Entstehung der Steuerforderung geboten sein, wenn die Entstehung absehbar war. 2. Haftung des Steuerberaters Ein StB übernimmt mit der Lohnbuchhaltung auch Pflichten in Bezug auf den sozialversicherungsrechtlichen Status.  Der StB ist zu einer Beratung in sozialversicherungsrechtlichen Fragen nach § 5 RDG weder berechtigt noch verpflichtet.  Allerdings ist in diesem Zusammenhang ein Verstoß gegen eine vertragliche Schadensverhütungspflicht denkbar.  So ist ein StB grds. als zu einer Prüfung verpflichtet angesehen worden, ob für Arbeitnehmer eine Befreiung von der Versicherungspflicht in Betracht kommt, wenn Beiträge nicht abgeführt wurden.  Sofern er bei der Prüfung einer Beitragspflicht oder bei der Berechnung der Höhe der abzuführenden Beiträge auf Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art stößt oder sich die Rechtslage unklar darstellt, darf er den sich stellenden sozialversicherungsrechtlichen Fragen allerdings nicht selbst nachgehen. Vielmehr hat er zwei Möglichkeiten: Er kann dem Mandanten empfehlen, einen mit den notwendigen Erfahrungen ausgestatteten Rechtsanwalt aufzusuchen.  Alternativ kann er raten, die Beitragspflicht bei dem Sozialversicherungsträger nach § 7 a SGB IV oder § 28 h Abs. 2 SGB IV selbst prüfen zu lassen.  Beratungshinweis: Drohende Konsequenzen und Dokumentationsnotwendigkeit Steuerberatern kann in Ansehung der Entscheidung nur geraten werden, in ihr Netzwerk einen auf das Sozialversicherungsrecht spezialisierten und zur Beratung zugelassenen Rechtsanwalt zur Haftungsfreizeichnung einzubinden. Daher empfiehlt sich eine Dokumentation der Information des Mandanten und eine Prüfung, wie dieser hierauf reagiert. Den möglichen Folgen eines Verstoßes durch den StB kommt auch haftungsrechtlich eine erhebliche Relevanz zu, wie die Rspr. des BGH zur Haftung des StB bei Insolvenzverschleppung anschaulich zeigt.  3. Zu entscheidende Streitfragen Nunmehr hatten der BFH und das OLG Hamm über folgende Fragen zu befinden: Schließt Überforderung des Geschäftsführers eine persönliche Haftung aus? Haftet ein Steuerberater für Sozialversicherungsnachforderungen gegen eine GmbH, wenn er keine rechtsanwaltliche Prüfung empfiehlt? II. Entscheidungen 1. BFH-Beschl. v. 15.11.2022 - VII R 23/19, Juris (Fall I) a) Sachverhalt Der Kläger war alleiniger GF der A-GmbH vom Zeitpunkt ihrer Gründung im November 2002 bis zum 23.4.2012. Faktischer GF der GmbH war der Sohn des Klägers, B, der formal als Prokurist der GmbH angestellt war. Der Kläger war zudem zu 90 % an der GmbH beteiligt. Die übrigen 10 % der Gesellschaftsanteile hielt sein Enkelsohn, C. Dieser übernahm zum 23.4.2012 die Geschäftsführung der GmbH. Eine Fahndungsprüfung kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger und sein Sohn in der Zeit vom 19.3.2007 bis zum 11.7.2011 USt, KSt und GewSt für die Jahre 2004 - 2011 in erheblicher Höhe verkürzt hätten. Dabei habe der Kläger in Kenntnis aller Umstände zumindest geduldet, dass sein Sohn als faktischer GF 67 Scheinrechnungen tatsächlich nicht existierender Firmen und 34 beleglose Buchungen für angebliche Wareneinkäufe und Fremdleistungen in die Buchführung der GmbH eingestellt und zur Grundlage der jeweiligen Steuererklärungen und USt-Voranmeldungen gemacht habe. Das Finanzamt erließ am 30.4.2012 entsprechende Änderungsbescheide ggü. der GmbH. Diese wurden von dem Enkel des Klägers, der inzwischen die Geschäftsführung der GmbH übernommen hatte, nicht angefochten und sind bestandskräftig geworden. Über das Vermögen der GmbH wurde im Jahr 2013 auf Antrag des Finanzamts das Insolvenzverfahren eröffnet. Im gleichen Jahr wurde das Steuerstrafverfahren gegen den Kläger gegen Zahlung einer Auflage gem. § 153 a StPO eingestellt. B wurde rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Mit Bescheid vom 19.3.2014 nahm das Finanzamt den Kläger wegen Steuerschulden der GmbH für den Zeitraum vom 31.10.2005 bis zum 23.4.2012 gem. §§ 191, 69, 71 und 370 AO in Haftung. Ebenfalls in Haftung genommen wurden der Sohn des Klägers als faktischer GF und der Enkel als Nachfolge-GF. Im Einspruchsverfahren reduzierte das Finanzamt die Haftungssumme nach Schätzung einer Haftungsquote von 82,39 % und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Das Finanzamt stützte die Haftung nunmehr nur noch auf § 69 i.V.m. § 34 AO. Die Klage hatte keinen Erfolg.  Die Haftungsinanspruchnahme sei rechtmäßig. Sachverhalt in tabellarisch zusammengefasster Form Streitjahre 2005 - 2012; 2014 2002 - 2012 Kläger (A) alleiniger GF einer GmbH; Faktischer GF war der Sohn des Klägers (B). 2004 - 2011 Verkürzung von USt, KSt und GewSt durch die GmbH durch 67 Scheinrechnungen nicht existierender Firmen und 34 beleglos eingebuchte vermeintliche Wareneinkäufe. 2012 Änderungsbescheide gegen die GmbH bestandskräftig. 2013 Insolvenz der GmbH; steuerstrafrechtliche Sanktionierung von A und B. 2014 Inanspruchnahme des Klägers, seines Sohnes als faktischer GF und des Enkels als Nachfolge-GF mit einer geschätzten Haftungsquote von 82,39 %. FG Münster Klage i.E. erfolglos, Haftungsinanspruchnahme ist rechtmäßig. b) Entscheidung und Begründung Die Rev. des Klägers hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen. Als GF der GmbH hat der Kläger die ihm gem. § 34 Abs. 1 S. 1 AO i.V.m. § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG obliegende Pflicht verletzt, die Steuererklärungen vollständig, richtig und rechtzeitig abzugeben und dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln entrichtet würden, § 34 Abs. 1 S. 2 AO. Der Kläger hat auch schuldhaft gehandelt. Der Umstand, dass die Geschäfte der GmbH tatsächlich durch seinen Sohn geführt worden sind, entlastet ihn nicht. Auch das fortgeschrittene Alter des Klägers und der Einwand, dass er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, Geschäftsvorfälle in der Firmen-EDV nachzuvollziehen, stehen der Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung nicht entgegen. Ein GF ist grds. befugt, die Erledigung anderen Personen zu übertragen. Er ist jedoch verpflichtet, diejenigen Personen, denen er die Erledigung der ihm als Vertreter des Stpfl. auferlegten steuerlichen Pflichten überträgt, sorgfältig auszuwählen und laufend zu überwachen. Mangelhaftes Überwachen der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen hat der BFH regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung („ Überwachungsverschulden “) eingestuft. Auf das eigene Unvermögen, den originären Aufgaben eines GF oder den Überwachungsaufgaben nachzukommen, kann sich dabei niemand berufen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften GF nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme des GF-Amts absehen bzw. dieses Amt niederlegen.  Zutreffend hat das FG entschieden, dass die Haftungsquote i.H.v. 82,39 % nicht zu beanstanden ist. Die Ermittlung dieser Quote hat das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung (einschl. der Anlagen) nachvollziehbar berechnet und geschätzt. Der Kläger ist dem nicht substanziiert entgegengetreten. Eine Schätzung war im Streitfall zulässig, weil die Unaufklärbarkeit der für die Ermittlung der Haftungsquote maßgeblichen Geschäftsvorfälle im Verantwortungsbereich der von ihm vertretenen GmbH lag. 2. OLG Hamm, Urteil vom 8.4.2022 - 25 U 42/20, DStRE 2022, 1465 (Fall II) a) Sachverhalt Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche. Klägerin ist eine GmbH, die Beklagte die u.a. mit der Lohnbuchhaltung betraute Steuerberaterin der Klägerin. Die Klägerin wurde in einer Betriebsprüfung von der Deutschen Rentenversicherung (DRV Bund) zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen i.H.v. 105.846,80 EUR für ihre drei GF - zu je einem Drittel beteiligte Gesellschafter der Klägerin - herangezogen. Dazu gehörten auch Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung für die privat krankenversicherten Betroffenen. Die gegen den Beitragsbescheid erhobene Klage vor dem Sozialgericht Münster wurde am 16.12.2020 abgewiesen. Die Klägerin hat daraufhin zivilrechtlich die Steuerberaterin auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Das LG Münster  hat die Klage dem Grunde nach als begründet angesehen und lediglich Säumniszuschläge i.H.v. 568,54 EUR nicht als Schaden berücksichtigt. Die Beklagte habe die Nebenpflicht aus dem Mandat zur Lohnbuchführung verletzt, nämlich zu prüfen, ob eine Befreiung von der Versicherungspflicht in Betracht komme, wenn Beiträge nicht abgeführt würden. Ergäben sich dabei Unklarheiten oder sozialversicherungsrechtliche Schwierigkeiten, so habe sie Rückfrage zu halten bzw. auf die Hinzuziehung eines fachlich geeigneten Beraters hinzuwirken. Sachverhalt in tabellarisch zusammengefasster Form Streitjahre 2014 - 2018 Beklagte ist eine Steuerberaterin, Klägerin ihre Mandantin, eine GmbH Die GmbH wurde zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen i.H.v. 105.846,80 EUR für ihre drei zu je einem Drittel beteiligten Gesellschafter herangezogen. Dazu gehörten auch Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung für die privat krankenversicherten Betroffenen. Die GmbH macht diesen Betrag als Schadensersatz gegen ihre Steuerberaterin geltend. LG Münster Gab der Klage überwiegend statt, unter Abzug des Betrags der Nachzahlungszinsen. b) Entscheidung und Begründung Das OLG Hamm hat die Steuerberaterin im Berufungsverfahren verpflichtet, alle Schäden zu erstatten, die der Klägerin daraus entstanden sind, dass die Beklagte sie nicht darauf hingewiesen hat, zur Frage der Sozialversicherungspflicht der Gesellschafter-GF sozialversicherungsrechtlichen Rat einzuholen. Die Beklagte hat schuldhaft eine Nebenpflicht aus dem StB-Vertrag bezüglich der Lohnbuchführung verletzt. Ein StB ist zwar zur Beratung in sozialversicherungsrechtlichen Fragen weder berechtigt noch verpflichtet.  Er hat jedoch eine vertragliche Schadensverhütungspflicht. Ein StB ist grds. zu einer Prüfung verpflichtet, ob für Arbeitnehmer eine Befreiung von der Versicherungspflicht in Betracht kommt, wenn Beiträge nicht abgeführt werden.  Sofern ein StB bei der Prüfung einer Beitragspflicht oder der Höhe der abzuführenden Beiträge auf Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art stößt oder sich die Rechtslage unklar darstellt, darf er diesen sozialversicherungsrechtlichen Fragen zwar nicht selbst nachgehen. Er hat jedoch seinem Mandanten anheimzustellen, einen mit den notwendigen Erfahrungen ausgestatteten Rechtsanwalt aufzusuchen. Hätte die Beklagte die Klägerin an einen sachkundigen Rechtsanwalt verwiesen oder zu einer eigenen Antragstellung der Klägerin i.S.d. § 7 a SGB IV oder § 28 h Abs. 2 SGB IV geraten, hätte sich jeweils ergeben, dass die Tätigkeit der Gesellschafter-GF als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV einzuordnen war. Dann hätten die Gesellschafter eine Sperrminorität im Gesellschaftsvertrag verankert. Als Schaden kann die Klägerin die Nachzahlungsbeträge für ihre Gesellschafter von der Beklagten erstattet verlangen. Etwaige Vorteile der Gesellschafter aus der Sozialversicherungspflicht sind für den i.R.d. Schadensermittlung anzustellenden Gesamtvermögensvergleich nicht im Wege einer konsolidierten Schadensbetrachtung einzubeziehen. Deren Voraussetzungen sind nicht erfüllt. III. Anmerkungen 1. Personenkreis Die Entscheidung des BFH zu Fall I mit der parallelen Inanspruchnahme sowohl des Klägers als formaler GF als auch seines Sohnes als faktischer GF und schließlich des Enkels als Nachfolge-GF macht zunächst deutlich, dass die Haftung nach § 69 AO sich über die formalen gesetzlichen Vertreter hinaus erstreckt. Über die auf die tatsächliche Verfügungsbefugnis abstellende Vorschrift des § 35 AO werden auch Personen wie etwa ein Prokurist oder ein Gesellschafter erfasst, denen im Innenverhältnis der Aufgabenbereich der Erfüllung steuerlicher Verpflichtungen auferlegt ist, sowie auch faktische GF. Bei mehreren GF kann die steuerliche Verantwortung eines GF mit haftungsrechtlicher Wirkung beschränkt werden. Ist einem GF die Zuständigkeit für die steuerlichen Angelegenheiten innerhalb der Geschäftsleitung wirksam durch Satzung, förmlichen Gesellschafterbeschluss oder durch eine Regelung der Geschäftsführung vorweg schriftlich übertragen worden, kann dieser vorrangig zur Haftung herangezogen werden.  Solange sie keinen Anlass haben, an der ordnungsgemäßen Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten zu zweifeln, haften die übrigen GF nicht. Sie haben allerdings eine Überwachungspflicht, die sich zu einer permanenten Kontrolle steigern kann, wenn die Gesellschaft ersichtlich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist oder der zuständige GF hierzu Anlass gibt.  Faktisch beinhaltet dies eine Überforderung der unzuständigen und häufig fachlich nicht vorgebildeten GF.  Die Entscheidung des BFH in Fall I macht jedoch unmissverständlich deutlich, dass der Satz gilt „ Unwissen schützt vor Haftung nicht.“ Beratungshinweis: Auswirkungen auf die Geschäftsführungsposition In der Praxis ist auch und gerade bei Mehrpersonengesellschaften ungeachtet des Renommees der Position die Bestellung mehrerer GF kritisch zu hinterfragen, jedenfalls eine klare schriftliche Zuständigkeitsregelung zu schaffen (Geschäftsordnung) und spätestens zu Beginn der Krise eine Beschränkung der Anzahl der GF vorzunehmen. Die Haftung des GF beginnt - unabhängig vom Bestehen eines Dienstvertrages mit der Gesellschaft - ab dem Zeitpunkt seiner organschaftlichen Bestellung. Sie endet mit Beendigung der Organstellung, etwa durch Amtsniederlegung. Die Anmeldung zum oder Eintragung in das HR ist in beiden Fällen unerheblich. 2. Haftungsumfang Der Umfang der Haftung bemisst sich grds. nach dem Prinzip der anteiligen Tilgung. Der Vertreter verletzt seine Pflichten nicht schuldhaft, wenn er alle Gläubiger annährend gleichmäßig befriedigt. Kommt er der Verpflichtung zur anteiligen Tilgung nicht nach, haftet er nicht auf den insg. ausgefallenen Steuerbetrag, sondern nur insoweit, als er den Steuergläubiger ggü. den übrigen Gläubigern benachteiligt hat.  Zur Berechnung der Tilgungsquote ist der Bestand aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft für den Haftungszeitraum zu ermitteln und sind diesem alle verfügbaren Mittel im Haftungszeitraum gegenüberzustellen. Beispiel Eine GmbH gerät Anfang Januar in Liquiditätsschwierigkeiten und meldet Anfang Juli Insolvenz an. Summe der Verbindlichkeiten Jan. - Juni: 1 Mio. EUR davon Steuerschulden: 100.000 EUR Geleistete Tilgungen Jan. - Juni 800.000 EUR davon Steuern 20.000 EUR durchschnittliche Befriedigungsquote 80 % Soll-Steuerzahlungen (80 %) 80.000 EUR Ist-Steuerzahlungen 20.000 EUR persönliche Haftung des GF 60.000 EUR Demgegenüber gilt bei der LSt eine verschärfte Haftung. Ein Vergleich mit den übrigen Gläubigern ist nach ständiger Rspr. nicht zulässig. Hier verletzt der Vertreter die ihm obliegenden Steuerpflichten nur dann nicht, wenn er die Nettolöhne gekürzt an die Arbeitnehmer auszahlt, um noch genügend Mittel zur Abführung der LSt zur Verfügung zu haben.  Beratungshinweis: Vorrangige Zahlung von LSt in der Krise Angesichts der strengen Haftung für LSt gilt insoweit im Regelfall die Empfehlung, in der Krise des Unternehmens vorrangig LSt-Verbindlichkeiten vor anderen Schulden zu befriedigen. Dies beinhaltet sogar die eigene LSt des Vertreters. Obwohl es sich hier wirtschaftlich nicht um eine fremde Schuld handelt, bejaht der BFH auch insoweit eine Haftung.  Im Hinblick auf die in der Praxis oftmals bedeutsame Haftung für Säumniszuschläge ist von Bedeutung, dass die Haftung erst ab dem Zeitpunkt der Bestellung des Vertreters beginnt. Sie erstreckt sich nach § 69 S. 2 AO jedoch auch auf die Säumniszuschläge, die nach Beendigung der Tätigkeit entstanden sind.  Insb. rechtfertigt der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit für sich allein keinen vollständigen Erlass der Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit; diese sind vielmehr i.d.R. nur zur Hälfte zu erlassen, wenn sie lediglich ihren Zweck verloren hätten, als Druckmittel zur pünktlichen Steuerzahlung zu dienen.  Eine Haftung in entsprechender Höhe entfällt allerdings auch dann, wenn ein Erlass gar nicht ausgesprochen wurde.  Die Entscheidung des BFH in Fall I macht zugleich deutlich, dass es im Haftungsverfahren sehr sinnvoll ist, an der Ermittlung der Haftungsquote mitzuwirken. Anderenfalls gesteht der BFH dem Finanzamt insoweit eine weitgehende Schätzungsbefugnis zu, was im Hinblick auf die Sachnähe auch nachvollziehbar ist. Beratungshinweis: Beweisvorsorge bei Insolvenznähe Bei einem absehbaren Insolvenzverfahren ist zwingend eine Beweisvorsorge des GF erforderlich. Häufig läuft das Insolvenzverfahren zeitlich parallel zum Haftungsverfahren und der im Besitz der maßgeblichen Unterlagen befindliche Insolvenzverwalter ist wenig interessiert, den GF in dem Haftungsverfahren zu unterstützen. 3. Haftungsbescheid Gem. § 191 AO „kann“ jeder potenzielle Haftungsschuldner durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Dies beinhaltet und setzt zugleich eine Ermessensprüfung in zweierlei Hinsicht voraus: Entschließungsermessen Auswahlermessen „ Ob“ der Inanspruchnahme „ Wen“ will das Finanzamt „ in welchem Umfang“ in Anspruch nehmen. Die Ermessensentscheidung ist in dem Bescheid zu begründen, damit das FG die Entscheidung i.R.d. § 102 FGO überprüfen kann.  Es muss deutlich werden, dass das Finanzamt das Für und Wider einer Inanspruchnahme abgewogen hat; allein floskelhafte Feststellungen über die Billigkeit der Inanspruchnahme genügen nicht.  Fehlt eine Begründung, ist ein Haftungsbescheid i.d.R. rechtswidrig . Klassische Fehler in Haftungsbescheide n sind etwa:  fehlende Begründung; unzulässige Ermessenskriterien (z.B. Wirtschaftskraft); zu enger Kreis potenzieller Haftungsschuldner; bei LSt-Haftung wird übersehen, dass neben der GmbH die Arbeitnehmer in Anspruch genommen werden können; pauschale Behauptung bei LSt-Haftung, der Arbeitgeber habe sich anstelle der Arbeitnehmer mit der Haftung einverstanden erklärt. Beratungshinweis: Vervollständigung bereits dargestellter Ermessenserwägungen Nach § 102 S. 2 FGO darf die FinVerw ihre Ermessenserwägungen bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz „ ergänzen“. Dies sollte jedoch keinesfalls davon abhalten, Ermessensfehler überhaupt geltend zu machen. Die Rspr. nimmt eine Ergänzung i.S.d. Vorschrift nur an, wenn es sich um eine Vervollständigung bereits dargestellter Ermessenserwägungen handelt, nicht dagegen, wenn Ermessenserwägungen erstmals angestellt oder Ermessensgründe vollständig ausgetauscht werden.  4. Haftung des Steuerberaters für Sozialversicherungsbeiträge (Fall II) Der Entscheidung des OLG Hamm liegt eine schon fast als klassisch zu bezeichnende „ Beraterfalle“ zugrunde. Für die versicherungsrechtliche Beurteilung von Gesellschafter-GF galt lange die sog. „Kopf-und-Seele-Theorie“, sodass auch familiäre Gesellschafterverhältnisse, die Gewährung erheblicher Darlehen, Sicherheiten und Bürgschaften, beherrschende Fach- oder Branchenkenntnis, Stimmbindungsabreden und zivilvertraglich eingeräumte Rechte für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Bedeutung waren. Dementsprechend konnte auch ein Minderheits-GF ohne Sperrminorität sozialversicherungsfrei sein. Mit Urt. v. 14.3.2018  hat das BSG all diese Kriterien als unerheblich beurteilt und stellt ausschließlich auf eine gesellschaftsvertragliche Sperrminorität als Kriterium der Sozialversicherungsfreiheit ab. Vertrauensschutz wird der Praxis gleichwohl nicht gewährt  und eine Abkehr von bisheriger Rspr. bestritten.  Nahezu tragisch ist diese Rspr.-Änderung nach der Entscheidung des OLG Hamm auch für steuerliche Berater. Die Vertretung in Sozialversicherungsverfahren nach § 7 a SGB IV ist Steuerberatern nach § 5 RDG untersagt. Sie dürfen auf diesem Gebiet nicht einmal beraten, da es nach Rspr. des BSG für die Abgrenzung zwischen (abhängiger) Beschäftigung und Selbstständigkeit einer besonderen Sachkunde auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts bedarf.  Bereits dieser Ansatz erscheint äußerst fragwürdig, wenn es doch nach dem eingangs zitierten Urteil des BSG für die Frage der Sozialversicherungspflicht von Gesellschafter-GF allein und ausschließlich darauf ankommen soll, ob diese eine satzungsmäßige Sperrminorität besitzen. Wenn aber dem StB jegliche Kompetenz im Bereich des § 7 a SGB IV abgesprochen wird, ist umso weniger verständlich, weshalb einem StB die Fähigkeit zugesprochen und sogar Verpflichtung auferlegt wird, Problemfälle überhaupt als solche zu erkennen.  Die BStBK hat deshalb bereits die Zurückweisungen im Statusverfahren nach § 7 a SGB IV kritisiert.  Beratungshinweis: Einbeziehung eines Rechtsanwalts in das Netzwerk Steuerberatern kann in Ansehung der Entscheidung nur geraten werden, in ihr Netzwerk einen auf das Sozialversicherungsrecht spezialisierten und zur Beratung zugelassenen Rechtsanwalt zur Haftungsfreizeichnung einzubinden. Bei dem BSG ist im Übrigen derzeit ein weiteres Verfahren  anhängig, in dem geklärt wird, ob eine Sperrminorität genügt oder darüber hinaus sogar eine Gestaltungsmacht erforderlich ist.      Vgl. dazu auch Bolz, AktStR 2014, 699 ff.       Dies beinhaltet nur die Pflicht zur Entrichtung der Steuern aus den tatsächlich verfügbaren Mitteln des Vertretenen, nicht aus dem eigenen Vermögen; BFH-Urt. v. 5.3.1991 - VII R 93/88, BStBl II 1991, 678       BFH-Urt. v. 12.6.1986 - VII R 192/83, BStBl II 1986, 657; BFH-Urt. v. 5.3.1991 - VII R 93/88, BStBl II 1991, 678       Ausnahmen von diesem Grundsatz gelten z.B., wenn bei einem gesunden Unternehmen die vollen Löhne ausgezahlt werden und es vor der Fälligkeit der LSt zu einer unerwartet eingetretenen Illiquidität kommt, BFH-Urt. v. 20.4.1993 - VII R 67/92, BFH/NV 1994, 142       Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der GF wegen fehlender Liquidität über mehrere Monate hinweg immer nur die Nettolöhne ausgezahlt hat und damit bewiesen hat, dass er über ausreichende Mittel verfügte, um die jeweils fälligen LSt-Ansprüche zu begleichen, BFH-Urt. v. 26.7.1988 - VII R 83/87, BStBl II 1988, 859. Im Ergebnis kommt in diesen Fällen eine solche Kürzung nur für den oder die letzten Monate der Lohnzahlung, z.B. vor Insolvenzantragstellung, in Betracht, BFH-Beschl. v. 9.1.1996 - VII B 189/95, BFH/NV 1996, 589       BGH-Urt. v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, NJW 1994, 2220; BGH-Urt. v. 30.3.1998 - II ZR 146/96, NJW 1998, 2667       Vgl. zum Ganzen Meixner, DStR 2018, 966 ff., 1025 ff. mit zahlreichen Nachweisen       BFH-Beschl. v. 7.9.2007 - VII B 180/06, BFH/NV 2008, 16; BFH-Beschl. v. 25.4.2013 - VII B 245/12, BFH/NV 2013, 1063       Gräfe, in: Gräfe/Lenzen/Wollweber, Steuerberaterhaftung, 7. Aufl. 2021, Rn 911       Vgl. auch BSG-Urt. v. 5.3.2014 - B 12 R 7/12 R, BeckRS 2014, 71499       BGH-Urt. v. 12.2.2004 - IX ZR 246/02, DStR 2004, 2221       BGH-Urt. v. 23.9.2004 - IX ZR 148/03, DStR 2004, 1979 m. Anm. Hund       BGH-Urt. v. 23.9.2004 - IX ZR 148/03, DStR 2004, 1979 m. Anm. Hund; ebenso BGH-Urt. v. 12.2.2004 - IX ZR 246/02, DStR 2004, 2221       Zieglmeier, DStR 2020, 230, 238; Gräfe, in: Gräfe/Lenzen/Wollweber, Steuerberaterhaftung, 7. Aufl. 2021, Rn 911; BGH-Urt. v. 6.6.2019 - IX ZR 115/18, DStRE 2020, 760       BGH-Urt. v. 26.1.2017 - IX ZR 285/14, DStR 2017, 942; zum Ganzen ausführlich Meixner, DStR 2018, 966 ff., 1025 ff.       FG Münster, Urt. v. 30.4.2019 - 12 K 620/15, EFG 2019, 1257 m. Anm. Haimerl       Vgl. BFH-Beschl. v. 5.3.1998 -- VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325, unter II.1., m.w.N.; vgl. auch BFH-Beschl. v. 18.9.2018 - XI R 54/17, BFH/NV 2019, 100, Rz 34; BFH-Beschl. v. 12.5.2009 - VII B 266/08, BFH/NV 2009, 1589, unter 2.a; Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl., München 2022, § 69 Rz 150       LG Münster, Urt. v. 15.7.2020 - 110 O 16/19, BeckRS 2020, 22665       BGH-Urt. v. 12.2.2004 - IX ZR 246/02, BFH/NV 2004, 319       BGH-Urt. v. 23.9.2004 - IX ZR 148/03, BFH/NV 2005, 52       Vgl. BFH-Urt. v. 23.6.1998 - VII R 4/98, BStBl II 1998, 761; BFH-Beschl. v. 26.11.1997 - I B 81/97, BFH/NV 1998, 559       Vgl. zu allem Intemann, in: Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 69, Rz 76 ff.       In der Krise eines Unternehmens sind diese meist dadurch voll in Anspruch genommen, vornehmlich ihr Ressort (wieder) erfolgreich zu führen.       BFH-Beschl. v. 18.8.1999 - VII B 106/99, BFH/NV 2000, 541 m.w.N.       BFH-Urt. v. 20.4.1982 - VII R 96/79, BStBl II 1982, 521; BFH-Urt. v. 12.7.1988 - VII R 108 - 109/87, BFH/NV 1988, 764; dies wird gegen harte Kritik aus dem Schrifttum (Tipke//Kruse/Loose, AO, § 69 Rz. 41) mit dem Argument gerechtfertigt, die LSt sei Teil des Bruttoarbeitslohnes des Arbeitnehmers, die der Arbeitgeber lediglich treuhänderisch für den Arbeitnehmer und das Finanzamt einzubehalten und abzuführen habe.       BFH-Urt. v. 14.12.1988 - VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549       BFH-Beschl. v. 24.1.1989 - VII B 188/88, BStBl II 1989, 315       BFH-Urt. v. 19.12.2000 - VII R 63/99, BStBl II 2001, 217       BFH-Beschl. v. 24.1.1989 - VII B 188/88, BStBl II 1989, 315       BFH-Urt. v. 13.6.1997 - VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4 m.w.N.       BFH-Urt. v. 12.5.1992 - VII R 15/91, BFH/NV 1993, 143; BFH-Urt. v. 18.9.1981 - VI R 44/77, BStBl II 1981, 801       BFH-Beschl. v. 1.3.1999 - VII B 292/98, BFH/NV 1999, 1182 m.w.N.       Vgl. Nacke, GmbHR 2006, 846, 851       BFH-Urt. v. 11.3.2004 - VII R 52/02, BStBl II 2004, 579 m. Anm. Neusel; vgl. auch Nacke, GmbHR 2006, 846       BSG-Urt. v. 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R, NJW 2018, 2662       Vgl. Rittweger, DStR 2017, 1537       BSG-Urt. v. 19.9.2019 - B 12 R 9/19 R, BeckRS 2019, 37245       BSG-Urt. v. 5.3.2014 - B 12 R 7/12 R, BeckRS 2014, 71499       Ebenso Klafke, DStR 2022, 1575       Vgl. etwa Beyer-Petz, DStR 2015, 605       Az des BSG: B 12 KR 16/20 R   

Dipl.-Finw. Markus Perschon, Steuerberater, Escheburg
Jahrgang: 2023 . Seite: 155
1. Die von einem Erben durch eine unterlassene Berichtigung gem. § 153 Abs. 1 AO begangene Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) führt nicht zu einer weiteren Verlängerung der Festsetzungsfrist, wenn diese sich schon aufgrund einer Steuerhinterziehung des Erblassers nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO auf zehn Jahre ...

AktStR: Dirk Krohn, Steueroberamtsrat, Burg/Dithmarschen, 2022 S. 671: Offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO - bei fehlender Erkennbarkeit des zutreffenden Werts Offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO - bei fehlender Erkennbarkeit des zutreffenden Werts Dirk Krohn, Steueroberamtsrat, Burg/Dithmarschen Jahrgang: 2022 . Seite: 671 Zur PDF-Fassung dieses Beitrages. 1. Allein der Umstand, dass zur Bestimmung der zutreffenden Höhe des steuerlichen Einlagekontos nicht die mechanische Übernahme der im Jahresabschluss angegebenen Kapitalrücklage ausreicht, sondern auf einer zweiten Stufe noch weitere Sachverhaltsermittlungen zur tatsächlichen Höhe des steuerlichen Einlagekontos erforderlich sind, schließt eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 S. 1 AO nicht aus. 2. Zumindest in denjenigen Fällen, in denen die offenbare Unrichtigkeit auf der versehentlichen Nichtangabe eines Werts in der Steuererklärung beruht, ist § 129 S. 1 AO bereits dann anwendbar, wenn für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich erkennbar ist, dass die Nichtangabe fehlerhaft ist (Anschluss an das BFH-Urt. v. 22.5.2019 - XI R 9/18, BFHE 264, 393, BStBl II 2020, 37). Entsprechendes muss gelten, wenn (nur) die Angabe einer Endsumme mit 0 Euro erfolgt und dies erkennbar unrichtig ist. BFH-Urt. v. 8.12.2021 - I R 47/18, BFH/NV 2022, 936 I. Vorbemerkungen 1. Bescheidänderung nach formeller Bestandskraft a) Grundsätze Nachdem die Einspruchsfrist verstrichen ist und der Steuer- oder Feststellungsbescheid damit formell bestandskräftig wird, bedeutet dies nicht unbedingt, dass eine Änderung des Bescheids nicht mehr möglich ist. Denn die verfahrensrechtlichen Änderungsvorschriften (§§ 129, 164, 172 ff. AO) berechtigen nicht nur die FinVerw, Bescheide zu Lasten des Stpfl. zu ändern, sondern geben auch dem Stpfl. das Recht, die Änderung des Bescheides zu seinen Gunsten zu beantragen. Allerdings ist ein solcher Änderungsantrag nur Erfolg versprechend, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Eine besondere und grds. vom Gesetzgeber gut gemeinte Änderungsvorschrift stellt die „offenbare Unrichtigkeit“ nach § 129 AO dar. § 129 AO - Offenbare Unrichtigkeiten beim Erlass eines Verwaltungsakts „Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen. Wird zu einem schriftlich ergangenen Verwaltungsakt die Berichtigung begehrt, ist die Finanzbehörde berechtigt, die Vorlage des Schriftstücks zu verlangen, das berichtigt werden soll.“ b) Offenbare Unrichtigkeiten § 129 AO ermöglicht die Berichtigung von Schreibfehlern, Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten. Die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO setzt grds. voraus, dass die offenbare Unrichtigkeit in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist.  Da die Unrichtigkeit aber nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist die Vorschrift auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Stpfl. als eigene übernimmt.  Unrichtigkeiten auf der Seite des Stpfl. sind offenbar, wenn sie sich ohne Weiteres aus der Steuererklärung des Stpfl., deren Anlagen sowie den in den Akten befindlichen Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr ergeben.  Offenbare Unrichtigkeiten i.S.d. § 129 AO sind mechanische Versehen wie bspw. Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts eine offenbare Unrichtigkeit aus. Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabei insb. nach der Aktenlage beurteilt werden.  § 129 AO greift immer ein, wenn es sich um Eingabefehler handelt,  Beträge versehentlich doppelt berücksichtigt oder Vorgänge übersehen werden.  § 129 AO findet auch Anwendung, wenn das Finanzamt bei der Veranlagung eine Mitteilung über eine Verlustbeteiligung übersieht und nicht berücksichtigt.  Mit Urt. v. 22.5.2019  hat der BFH klargestellt, dass die von der Rspr. des BFH zu § 129 AO entwickelten Grundsätze auch bei der Einreichung elektronischer Steuererklärungen gelten. § 129 AO ist nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht.  Vor diesem Hintergrund ist eine Berichtigung nach § 129 AO nicht möglich, wenn das Finanzamt aufgrund einer Hinweismitteilung den Fall überprüft hat, es im Rahmen dieser Überprüfung zu einer neuen Willensbildung der zuständigen Beamten gekommen ist und mithin die Möglichkeit eines Rechtsirrtums nicht auszuschließen ist. So ist die versehentliche Nichtberücksichtigung von AfA durch den Stpfl., die aus seinen Unterlagen ersichtlich ist und vom Finanzamt übernommen wird, nicht nach § 129 AO berichtigungsfähig.  Dagegen ist die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO nicht von Verschuldensfragen abhängig.  Wer nach Ablauf der Einspruchsfrist entdeckt, dass sich das Finanzamt offenbar zu seinen Ungunsten verrechnet, vertan oder Zahlen falsch erfasst hat, sollte einen auf § 129 AO gestützten Berichtigungsantrag stellen. Obwohl die Durchführung der Berichtigung im Ermessen des Finanzamts steht, besteht bei berechtigtem Interesse des Stpfl. Berichtigungszwang (§ 129 S. 2 AO). Dies ergibt sich aus dem Vorrang der materiellen Gerechtigkeit vor der Rechtssicherheit.  2. Feststellung des steuerlichen Einlagekontos nach § 27 KStG Das steuerliche Einlagekonto (§ 27 Abs. 2 KStG) ist bei KapG i.R.d. KSt dafür gedacht, dass die von den Gesellschaftern geleisteten Einlagen in das Eigenkapital (Kapitalrücklage) von den durch die Gesellschaft selbst erwirtschafteten Gewinnen getrennt werden. Dieses steuerliche Einlagekonto ist jährlich fortzuschreiben und gesondert festzustellen. Die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos und die Einstellung sind dem Finanzamt jährlich mit der KSt-Erklärung mitzuteilen. Fehlen dazu Angaben und das Finanzamt hat den jährlichen Bestand somit nicht richtig feststellen können, gibt es bei bestandskräftigen, also grds. nicht mehr änderbaren Steuerbescheiden, Probleme. Insb. verhindert die Grundlagenfunktion des Feststellungsbescheid s nach § 27 Abs. 2 S. 2 KStG eine nachträgliche Berücksichtigung solcher versehentlich nicht erfassten Zugänge in Folgebescheiden. Die fehlerhafte Feststellung führt ggf. zu steuerlichen Nachteilen, wenn Gewinnausschüttungen anstehen oder aber eine KapG liquidiert wird. Aufgrund der materiell-rechtlichen Bindungswirkung nach § 20 Abs 1 Nr. 1 S. 3 EStG für die Besteuerung der Anteilseigner  können sich nachteilige Folgen ergeben, wenn die unterbliebene Erfassung eines Zugangs im steuerlichen Einlagekonto bei bestandskräftigen Bescheiden verfahrensrechtlich nicht mehr korrigiert werden kann. Zur Verdeutlichung möglicher nachteiliger Folgen sind folgende Grundsätze zu beachten: „Ausschüttungen“ aus dem steuerlichen Einlagekonto unterliegen beim Anteilseigner nicht der Besteuerung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG) und führen zu einer Minderung der Anschaffungskosten auf die Beteiligung. Übersteigt die Ausschüttung aus dem steuerlichen Einlagekonto den Beteiligungsbuchwert, entsteht ein Veräußerungsgewinn, der nach § 17 Abs. 4 EStG der Besteuerung unterliegt. Das steuerliche Einlagekonto darf bei Leistungen an die Gesellschafter nur verwendet werden, soweit die Leistungen den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigen (kein „Direkt-Zugriff“). Als ausschüttbarer Gewinn gilt das um das gezeichnete Kapital geminderte in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital abzüglich des Bestands des steuerlichen Einlagekontos (§ 27 Abs. 1 S. 5 KStG). Übersteigt die Ausschüttung auch den Bestand des steuerlichen Einlagekontos, ist die Ausschüttung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG als Einkünfte aus KapV der Besteuerung zu unterwerfen. Zusammenfassend ist die Folge einer unterlassenen Erfassung im steuerlichen Einlagekonto, dass Leistungen aus dem steuerlichen Einlagekonto nicht möglich sind und eine spätere Auflösung und Ausschüttung der Kapitalrücklageregelmäßig zu einer kapitalertragsteuerpflichtigen Gewinnausschüttung führt, weil § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG nicht anwendbar ist. Die dabei bei zutreffender Erfassung der Einlage im steuerlichen Einlagekonto vermeidbare KapESt von 25 % zzgl. SolZ wird als „Steuerschaden“ angesehen. Dazu ist allerdings anzumerken, dass es sich hierbei nur um einen temporären Steuerschaden handelt, denn erfolgt die Ausschüttung nicht aus dem steuerlichen Einlagekonto, werden auch die Anschaffungskosten der Beteiligung beim Gesellschafter nicht nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG gemindert. Außerdem führen auch nicht im steuerlichen Einlagekonto erfasste Einlagen nach § 17 Nr. 2 a S. 3 Nr. 1 EStG zu nachträglichen Anschaffungskosten der Beteiligung. Diese erhöhten und durch fehlende Ausschüttung aus dem steuerlichen Einlagekonto nicht geminderten Anschaffungskosten der Beteiligung können aber spätestens bei einer Veräußerung der Anteile oder bei der Auflösung der Gesellschaft berücksichtigt werden.  Doch diese Entlastung kann im Einzelfall viele Jahre auf sich warten lassen oder evtl. bei einem Stpfl. überhaupt nicht eintreten, wenn er z.B. seinen Anteil unentgeltlich auf die nächste Generation überträgt. In der Praxis werden oftmals Einlagen der Gesellschafter in die GmbH bilanziell erfolgsneutral durch eine Buchung in der Kapitalrücklage erfasst und in der Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos nach § 27 KStG versehentlich nicht als Zugang erfasst. Die Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 27 Abs. 2 KStG weisen in diesen Fällen zumeist auch keinen Zugang zum steuerlichen Einlagekonto aus und werden bestandskräftig, ohne dass der Fehler bemerkt wird. In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob eine Korrektur des Feststellungsbescheids verfahrensrechtlich möglich ist. In diesem Zusammenhang wird auch eine Berichtigung nach § 129 AO „ Offenbare Unrichtigkeit“ vorgeschlagen, da das Finanzamt eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare Unrichtigkeit als eigene im Bescheid übernommen habe.  Bisher fehlte zu dieser Frage eine höchstrichterliche Entscheidung und die Rspr. der FG ist sehr uneinheitlich. Einige FG haben trotz bestandskräftiger Feststellungsbescheide gem. § 27 Abs. 2 KStG eine Korrektur nach § 129 AO zugelassen , während weit überwiegend die Korrektur nach § 129 AO abgelehnt wurde.  Im Schrifttum wurde auch die Drittanfechtung eines fehlerhaften Feststellungsbescheids des steuerlichen Einlagekontos durch den Gesellschafter vorgeschlagen.  Nach der finanzgerichtlichen Rspr.  besteht aber für den Gesellschafter im Feststellungsverfahren gegenüber der KapG kein Drittanfechtungsrecht. Der BFH hat zumindest in einem Beschl. v. 10.12.2019  grds. ein solches Drittanfechtungsrecht der Gesellschafter einer KapG bejaht, hält es aber für nicht ernstlich zweifelshaft, dass die Gesellschafter den sich aus § 166 AO (Drittwirkung der Steuerfestsetzung) ergebenden Beschränkungen unterworfen sind. In dieser unübersichtlichen Lage kommt es für den Stpfl. leider immer wieder dazu, dass das steuerliche Einlagekonto unrichtig festgestellt wird und die FinVerw sich auf den Standpunkt stellt, dass eine Änderung rechtlich unmöglich sei. Auch Anträge auf Billigkeitsfestsetzungen werden regelmäßig abgelehnt, so dass dem Stpfl. nur zu raten ist, darauf zu achten, dass diese Feststellungsbescheide zumindest nach § 164 AO unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt werden. Insoweit sollte bei fehlender Vorbehaltsfeststellung diese durch ein Rechtsbehelfsverfahren durchgesetzt werden. 3. Vom BFH zu entscheidende Rechtsfrage In einer aktuellen Entscheidung hatte der BFH nunmehr über folgende Frage zu befinden: Schließt allein der Umstand, dass zur Bestimmung der zutreffenden Höhe des steuerlichen Einlagekontos nicht die mechanische Übernahme der im Jahresabschluss angegebenen Kapitalrücklage ausreicht, sondern auf einer zweiten Stufe noch weitere Sachverhaltsermittlungen zur tatsächlichen Höhe des steuerlichen Einlagekontos erforderlich sind, eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 S. 1 AO aus? II. BFH-Urt. v. 8.12.2021 - I R 47/18, BFH/NV 2022, 936 1. Sachverhalt Die Klägerin ist eine im Jahr 2010 gegründete GmbH. An ihrem Stammkapital i.H.v. 25.000 EUR waren im Streitjahr (2012) zunächst die Gründungsgesellschafter A und B mit einem Geschäftsanteil von jeweils 12.500 EUR beteiligt. Mit notariellem Vertrag vom 31.8.2012 schlossen A und B mit der Klägerin einen Einbringungsvertrag, in dem sie sich verpflichteten, zur Stärkung des Kapitals der Klägerin voll werthaltige Darlehensforderungen ggü. der C-GbR i.H.v. 245.000 EUR, 100.000 EUR und 250.000 EUR sowie Geldbeträge i.H.v. 95.000 CHF, 150.000 EUR, 500.000 EUR und 1.200.000 CHF unentgeltlich einzubringen. Die Einlagen sollten als Kapitalrücklage gem. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB ausgewiesen werden. Am 19.10.2012 übertrugen sowohl A als auch B Geschäftsanteile an der Klägerin im Nennwert von jeweils 6.250 EUR unentgeltlich auf ihre Kinder D und F. Die KSt-Erklärung für 2012 und die Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2012 wurden dem Finanzamt am 15.5.2014 elektronisch übermittelt; zugleich übersandte die Klägerin dem Finanzamt ihren Jahresabschluss zum 31.12.2012 in Papierform. Der Jahresabschluss weist eine Kapitalrücklage i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB i.H.v. 2.315.017,50 EUR aus und erläutert diese Bilanzposition wie folgt: „Mit Einbringungsvertrag vom 31.8.2012 haben die Gesellschafter ... [A] und ... [B] ihre Darlehensforderungen an die ... [C-GbR] i.H.v. 245.000 EUR und 100.000 EUR sowie 250.000 EUR per 15.9.2012 in die Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB eingebracht. Darüber hinaus wurde die Einbringung von Geldbeträgen von 95.000 CHF ... [A] und 1.200.000 CHF ... [B] beschlossen. Die Geldbeträge wurden per 25.9.2012 auf ein Girokonto der ... [X-Bank] eingezahlt." Im Umlaufvermögen sind Darlehensforderungen ggü. der C-GbR i.H.v. 595.000 EUR (Vorjahr 0 EUR) und Guthaben bei der X-Bank i.H.v. 1.072.420 EUR (Vorjahr 0 EUR) sowie bei der Y-Bank i.H.v. 500.000 EUR und 150.084,67 EUR (Vorjahr jeweils 0 EUR) ausgewiesen. In der Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2012 war für den Schluss des vorangegangenen und für den Schluss des laufenden Wirtschaftsjahrs ein Bestand des steuerlichen Einlagekontos von jeweils 0 EUR angegeben. Entsprechend dieser Erklärung stellte das Finanzamt mit Bescheid vom 3.6.2014 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gem. § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 S. 3 KStG zum 31.12.2012 ein steuerliches Einlagekonto i.H.v. 0 EUR fest. Am 3.6.2015 beantragte die Klägerin, diesen Feststellungsbescheid nach § 129 AO zu ändern und den Bestand des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2012 mit 2.315.017,50 EUR festzustellen. Diesen Antrag lehnte das Finanzamt mit Bescheid vom 6.8.2015 ab. Der Einspruch blieb erfolglos. Das FG München  wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Sachverhalt in tabellarisch zusammengefasster Form Streitjahr 2012 Kläger Im Jahr 2010 gegründete GmbH, an der zunächst die Eheleute A und B zu je 50 % beteiligt waren 2012 Einbringung von voll werthaltigen Darlehensforderungen durch A und B gegen Buchung in die Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB. Jahresabschluss enthält eine Kapitalrücklage von 2.315.017,50 EUR mit der Erläuterung, dass der Betrag aus der Einbringung der Darlehensforderungen resultiert. Am 19.12.2012 wurden Anteile von je 25 % durch A und B unentgeltlich auf die Kinder D und F übertragen. 2014 Abgabe der Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2012 mit einem Bestand von Null EUR. Finanzamt Finanzamt setzt mit Bescheid vom 3.6.2014 entsprechend der Erklärung den Bestand des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2012 mit Null EUR fest. 2015 Am 3.6.2015 beantragt die Klägerin, den Feststellungsbescheid nach § 129 AO zu ändern und den Bestand mit 2.315.017,50 EUR festzustellen. Finanzamt/FG München Das Finanzamt lehnt den Antrag am 6.8.2015 ab, der eingelegte Einspruch bleibt erfolglos und das FG weist die dagegen gerichtete Klage ab. 2. Entscheidung und Begründung Der BFH hielt die Rev. mit folgenden Argumenten für begründet und verwies das Verfahren an das FG zurück. § 129 S. 1 AO stellt auf eine offenbare „Unrichtigkeit“ bei Erlass eines Verwaltungsakts ab. Auch wenn hierfür ein mechanisches Versehen erforderlich ist, das einem Schreib- oder Rechenfehler ähnelt, bedeutet dies nicht, dass auch der zutreffende Wert ohne weitere Prüfungen erkennbar sein muss. Zumindest in denjenigen Fällen, in denen die offenbare Unrichtigkeit auf der versehentlichen Nichtangabe eines Werts in der Steuererklärung beruht, ist § 129 S. 1 AO bereits dann anwendbar, wenn für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich erkennbar ist, dass die Nichtangabe fehlerhaft ist.   Entsprechendes muss gelten, wenn (nur) die Angabe einer Endsumme mit 0 EUR erfolgt und dies erkennbar unrichtig ist. Allein der Umstand, dass zur Bestimmung der zutreffenden Höhe des steuerlichen Einlagekontos der Klägerin nicht die mechanische Übernahme der im Jahresabschluss angegebenen Kapitalrücklage i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB ausreicht, sondern auf einer zweiten Stufe noch weitere Sachverhaltsermittlung en zur tatsächlichen Höhe des steuerlichen Einlagekontos erforderlich sind, schließt eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 S. 1 AO nicht aus.  III. Anmerkungen Der BFH hat sich einmal mehr gegen die Meinung der FinVerw sowie auch gegen ein Urt. eines FG gestellt. Daraus kann geschlossen werden, dass nicht in allen Fällen „klein beigeben” werden sollte. Es kann sich lohnen, den Rechtsweg i.R.d. Finanzgerichtsbarkeit bis zum Ende zu gehen. Mit dem jetzt veröffentlichten Urt. können, unter Beachtung der Verjährungsregeln, noch fehlerhafte Bescheide zum steuerlichen Einlagekonto geändert werden. Die Begründung des Finanzamts und des FG München, dass die richtige Höhe der erbrachten Einzahlungen in die Kapitalrücklage aus der Bilanz nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen sei und deshalb eine Änderung des erklärten Einlagekontos nach § 129 AO (Offenbare Unrichtigkeit) nicht möglich sei, wurde vom BFH nicht geteilt. Damit eröffnet der BFH grds. eine Berichtigungsmöglichkeit, wenn für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich erkennbar ist, dass die Nichtangabe fehlerhaft ist.  Dies muss nach Ansicht des BFH auch gelten, wenn (nur) die Angabe einer Endsumme mit 0 EUR erfolgt und dies erkennbar unrichtig ist. Dieser Fall kommt in der Praxis sehr häufig vor. Die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos mit Null EUR basiert zwar zumeist auf einer unrichtig bzw. nicht ausgefüllten Erklärung zur Festsetzung des steuerlichen Einlagekontos nach § 27 KStG durch den Stpfl.; aber das zuständige Finanzamt hätte auch i.R.d. Amtsermittlungsgrundsatzes die Richtigkeit dieser „Null“ überprüfen können/müssen. In diesen Fällen wäre jedem kundigen Sachbearbeiter aufgefallen, dass Zuschreibungen in der Kapitalrücklage nicht bei der Ermittlung des steuerlichen Einlagekontos berücksichtigt wurden. Insoweit spricht eine Feststellung mit „Null“ EUR unbedingt dafür, dass eben keine rechtliche Würdigung durch das Finanzamt vorgenommen, sondern lediglich die Eintragung des Stpfl. ohne Prüfung übernommen wurde. Insoweit hat sich das Finanzamt den Fehler des Stpfl. durch Übernahme zu eigen gemacht und die Voraussetzungen einer Berichtigung nach § 129 AO sind gegeben. Beratungshinweis: Rev.-Verfahren zum Einlagekonto i.H.v. 0 EUR nach einer Einbringung gem. § 20 UmwStG anhängig Beim BFH ist unter dem Az I R 44/21 - ebenfalls als eine Rev. gegen eine Entscheidung des FG München  - ein weiteres Verfahren anhängig, das sich mit einer Berichtigung nach § 129 S. 1 AO beschäftigt. Dieses hat die Einbringung eines Mitunternehmeranteils in eine KapG gem. § 20 UmwStG zum Gegenstand. In diesem Fall wurde ebenfalls das Einlagekonto mit einem Wert von 0 EUR festgestellt. Bei der Veräußerung i.S.v. § 17 EStG handelt es sich um einen Einmaltatbestand. Der Veräußerungsgewinn ist ereignisbezogen auf den tatsächlichen Veräußerungszeitpunkt als maßgeblichen Stichtag zu ermitteln.  Ebenso wie bei § 16 Abs 2 EStG ist der Zufluss des Veräußerungspreises grds. nicht entscheidend. § 11 EStG findet keine Anwendung. Der BFH hat das Urt. des FG München aufgehoben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Nun muss das FG München im zweiten Rechtsgang die tatsächliche Höhe des steuerlichen Einlagekontos ermitteln. Dazu sind weitere Sachverhaltsermittlungen notwendig. Der Grundsatz der Berichtigungsmöglichkeit ist damit aber nicht mehr fraglich. Beratungshinweis: Notwendigkeit zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts unproblematisch Abweichend sowohl von der Auffassung der FinVerw als auch des FG München führt der BFH aus, dass eine noch erforderliche Aufklärung des Sachverhalts einer Berichtigung nach § 129 S. 1 AO nicht entgegen steht. Aus meiner Sicht sollte die FinVerw diese Rspr. schnellstmöglich übernehmen und damit eine oft in Betriebsprüfungen aufkommende verfahrensrechtliche Diskussion zur Erleichterung aller Beteiligten beenden.      BFH-Urt. v. 16.9.2015 - IX R 37/14, BStBl II 2015, 1040, Rz 17       BFH-Urt. v. 3.5.2017 - X R 4/16, BFH/NV 2017, 1415, Rz 13, m.w.N.       BFH-Urt. v. 16.9.2015 - IX R 37/14, BStBl II 2015, 1040; BFH-Urt. v. 27.5.2009 - X R 47/08, BFHE 226, 8, BStBl II 2009, 946       Vorbeck, in: Koenig, Abgabenordnung, 4. Aufl. 2022, § 129 Rz 13 m.w.N.       BFH-Urt. v. 29.1.2003 - I R 20/02, BFH/NV 2003, 1139       BFH-Urt. v. 27.3.1987 - VI R 63/84, BFH/NV 1987, 480       BFH-Urt. v.16.7.2003 - X R 37/99, BStBl II 2003, 867       BFH-Urt. v. 22.5.2019 - XI R 9/18, BStBl II 2020, 37       Vgl. dazu BFH-Urt. v. 10.12.2019 - IX R 23/18, BFH/NV 2020, 394, Rz 19, m.w.N.       FG Hessen, Urt. v. 10.9.2019 - 4 K 1318/18, EFG 2020, 243; FG Hessen, Urt. v. 10.9.2019 - 4 K 1018/19 F, EFG 2020, 245; BFH-Urt. v. 26.5.2020 - IX R 30/19, BFH/NV 202, 1233       BFH-Urt. v. 7.11.2013 - IV R 13/11, BFH/NV 2014, 657; BFH-Urt. v. 16.1.2018 - VI R 38/16, BFH/NV 2018, 513; vgl. auch ausführlich dazu Vorbeck, in: Koenig, Abgabenodnung, 4. Aufl. 2022, § 129 Rz 15       BFH-Urt. v. 4.3.2015 - X B 39/14, BFH/NV 2015, 805       Vgl. BFH-Urt. v. 11.2.2015 - I R 3/14, BStBl II 2015, 816; BFH-Urt. v. 19.5.2010 - I R 51/09, BStBl II 2014, 937       Zum Ausgleich i.R.d. Liquidation der KapG, vgl. Schröder, DStR 2017, 835, vgl. auch Stimpel, in: Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2015, § 27 Rz 118       Zu Übernahmefehlern vgl. BFH-Urt. v. 24.7.1984 - VIII R 304/81, BStBl II 1984, 785       Vgl. FG Köln, Urt. v. 6.3.2012 - 13 K 1250/10, EFG 2014, 417; FG Köln, Urt. v. 7.4.2016 - 13 K 37/15, EFG 2016, 980; FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 13.10.2016 - 10 K 10320/15, EFG 2017, 231; FG Münster, Urt. v. 13.10.2017 - 13 K 2113/16, EFG 2018, 11 mit Anm. von Schmitz-Herscheidt       Dötsch, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 27 Rz 33a (November 2019) mit einer Übersicht über die Rspr. der FG       Vgl. dazu Brühl, DStR 2017, 1129; Brühl, FR 2015, 871; Binnewies/Gravenhorst, DStR 2020, 1542 mit Rspr.-Nachweis der FG zum Drittanfechtungsrecht       Vgl. FG Schleswig-Holstein, Urt. v. 19.9.2019 - 1 K 73/18, EFG 2019, 1920, Rev. unter Az des BFH: I R 53/19; FG München, Beschl. v. 28.5.2019 - 7 V 803/19, Juris       BFH-Beschl. v. 10.12.2019 - I B 35/19, BStBl II 2020, 517       FG München, Urt. v. 17.9.2018 - 7 K 2805/17, EFG 2019, 10       Anschluss an das BFH-Urt. v. 22.5.2019 - XI R 9/18, BStBl II 2020, 37       Vgl. auch BFH-Urt. v. 27.8.2013 - VIII R 9/11, BStBl II 2014, 439; BMF-Schr. v. 18.5.2022 - IV A 3 - S 0062/22/10005:001, BStBl I 2022, 665, Anwendungserlass zur AO zu § 129 Nr. 4 S. 4; von Wedelstädt, in: Gosch, § 129 AO Rz 43       Anschluss an BFH-Urt. v. 22.5.2019 - XI R 9/18, BStBl II 2020, 37       FG München, Urt. v. 20.4.2021 - 6 K 1311/18, EFG 2022, 1178       BFH-Urt. v 13.10.2015 - IX R 43/14, BStBl II 2016, 212; BFH-Beschl. v. 1.4.2008 - IX B 257/07, BFH/NV 2008, 1331   

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