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Über das AktStR
Heft-Nr.
3 / 2015 (1)
Rubrik
AktStR-Themen (1)
Rechtsgebiet
UStG (1)
Geschäftsveräußerung im Ganzen bei Veräußerung von Gaststätteninventar
AktStR: Dr. Jörg Grune, Richter am FG, Hannover, 2015 S. 487: Geschäftsveräußerung im Ganzen bei Veräußerung von Gaststätteninventar Geschäftsveräußerung im Ganzen bei Veräußerung von Gaststätteninventar Dr. Jörg Grune, Richter am FG, Hannover Jahrgang: 2015 . Seite: 487 Zur PDF-Fassung dieses Beitrages. Die Voraussetzungen einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen liegen nicht vor, wenn der (bisherige) Pächter einer Gaststätte lediglich ihm gehörende Teile des Inventars einer Gaststätte - hier Kücheneinrichtung nebst Geschirr und Küchenartikeln - veräußert und der Erwerber den Gaststättenbetrieb sowie das übrige Inventar durch einen weiteren Vertrag von einem Dritten pachtet. BFH-Urt. v. 4.2.2015 - XI R 42/13, BFH/NV 2015, 937 I. Vorbemerkung 1. Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen, § 1 Abs. 1a UStG Nach § 1 Abs. 1a UStG ist die Veräußerung eines Unternehmens im Ganzen nicht steuerbar. Dies gilt sowohl für die entgeltliche als auch für die unentgeltliche Übertragung eines Unternehmens bzw. eines in der Gliederung des Unternehmens gesondert geführten Betriebs. Die Regelung wurde zum 1.1.1994 durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (StMBG) in das UStG eingefügt. Unionsrechtlich liegt dem Art. 19 S.1 MwStSystRL zugrunde: Art. 19 Satz 1 MwStSystRL "Die Mitgliedstaaten können die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen." Im Einzelnen setzt die Regelung Folgendes voraus: Die (entgeltlich oder unentgeltlich) übertragenen Gegenstände müssen die wesentlichen Grundlagen des Unternehmens (bzw. eines gesondert geführten Unternehmensteils) sein. Die Gegenstände müssen in einem einheitlichen Übertragungsvorgang an einen Erwerber übertragen werden. Dadurch muss dem Erwerber die Fortsetzung einer bisher durch den Veräußerer ausgeübten Tätigkeit ermöglicht werden. Der Erwerber muss Unternehmer sein, zumindest aber durch den Erwerb des Geschäfts im Ganzen (erstmals) Unternehmer werden. Hinweis Nach neuerer Rspr. des EuGH und BFH (Entscheidung XI R 27/08) stellt die Übereignung des Warenbestands und der Geschäftsausstattung eines Einzelhandelsgeschäfts unter gleichzeitiger Vermietung des Ladenlokals an den Erwerber auf unbestimmte Zeit, allerdings aufgrund eines von beiden Parteien kurzfristig kündbaren Vertrags, eine Geschäftsveräußerung dar. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die übertragenen Sachen hinreichen, damit der Erwerber eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit dauerhaft fortführen kann. Dieser BFH-Entscheidung XI R 27/08 lag folgender Sachverhalt zugrunde: 2. Probleme in der Anwendungspraxis Die Vorschrift führt in der Praxis immer wieder zu Problemen: Die nicht erkannte Geschäftsveräußerung im Ganzen (der Veräußerungsvorgang wird der USt unterworfen, obwohl eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen vorliegt) löst die Rechtsfolgen des § 14 c Abs. 1 UStG aus: Der Veräußerer schuldet die unrichtig ausgewiesene USt, während der Erwerber die ausgewiesene USt nicht als Vorsteuer abziehen darf. Der Veräußerer kann dann die Rechnung zwar berichtigen, der Erwerber hat den zu Unrecht in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug jedoch nach § 233 a AO zu verzinsen. Die zu Unrecht angenommene Geschäftsveräußerung im Ganzen ist nicht minder problematisch: In diesem Fall ist die USt beim Veräußerer nachzuerheben. Der Veräußerer ist zusätzlich mit Nachzahlungszinsen gem. § 233 a AO belastet. Außerdem besteht das Risiko, dass er trotz entsprechender Vorkehrungen im Übertragungsvertrag (sog. "Steuerklausel") die USt vom Erwerber nicht nachfordern kann bzw. mit der Nachforderung ausfällt. Der Erwerber seinerseits kann die Vorsteuer im Übrigen erst nach Erhalt einer ordnungsgemäßen Rechnung mit USt-Ausweis in Abzug bringen. Demgemäß ist in der Praxis erhöhte Aufmerksamkeit geboten, wenn auch nur im Ansatz eine Geschäftsveräußerung im Ganzen in Betracht kommen könnte. Hinweis Es ist zu empfehlen, dass durch Steuerklauseln in Verträgen Vorsorge dafür getroffen wird, dass das FA die Veräußerung anders als die Vertragsparteien beurteilt. 3. Vom BFH zu entscheidende Rechtsfrage Aktuell hatte sich der BFH jetzt mit folgender Fragestellung zu befassen: Dürfen Umsätze aus mehreren umsatzsteuerrechtlichen Leistungsbeziehungen, die der Erwerber eingegangen ist, in die Beurteilung, ob eine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorliegt, einbezogen werden? II. BFH-Urt. v. 4.2.2015 - XI R 42/13, BFH/NV 2015, 937 1. Sachverhalt Gegenstand des Unternehmens der Klin. war ab Januar 2006 der Betrieb einer Gaststätte "Schützenhaus". Eigentümerin des Schützenhauses war die Schützenbruderschaft T. Diese hatte die Räume, eine Gaststätte sowie Säle, einen Biergarten und das Inventar an A verpachtet, der eine Speisegaststätte betrieb. Zum 31.12.2005 wurde der Pachtvertrag einvernehmlich aufgehoben. Ab dem 1.1.2006 wurde das Schützenhaus an die Klin. mit der Auflage verpachtet, dort ebenfalls eine Gaststätte zu betreiben. Das von T an die Klin. verpachtete Inventar des Schützenhauses umfasste die vollständige Inneneinrichtung der Gaststätte und der Säle wie Bestuhlung, Thekenanlagen, Lampen etc. mit Ausnahme der Kücheneinrichtung. Am selben Tag schlossen die Klin. und der Verpächter A eine "Übernahmevereinbarung", betreffend Warenbestand, Gartenbestuhlung und bereits gebuchte Veranstaltungen. Die "Abrechnung für den Verkauf der Betriebs- und Geschäftsausstattung des Schützenhauses" erfolgte i.H.v. 50.000 EUR, zzgl. USt 8.000 EUR. Das übernommene Inventar bestand im Wesentlichen aus der Kücheneinrichtung sowie Geschirr und diversen Küchenartikeln; nicht dazu gehörten u.a. der von A. mitgenommene Wärmeschrank und der Speiseausgabewagen. Die Klin. zog die 8.000 EUR als Vorsteuer ab. Nach einer Ap vertrat das FA die Auffassung, die Klin. habe den Gaststättenbetrieb i.R.e. nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen erworben; es seien sämtliche wesentlichen Betriebsgrundlagen auf die Klin. übertragen worden, wozu auch das Pachtverhältnis und die Geschäftsbeziehungen gehörten. Die in der Rechnung des A ausgewiesene USt i.H.v. 8.000 EUR sei deshalb nicht als Vorsteuer abziehbar. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Sachverhalt in tabellarisch zusammengefasster Form Klin. Pächterin der Gaststätte "Schützenhaus" 1.1.2006 Pachtvertrag der Klin. mit der Eigentümerin des Schützenhauses über Gaststätte mit Inventar (Kücheneinrichtung Bestuhlung, Theke, Lampen) 1.1.2006 "Übernahmevertrag" mit dem Vorpächter über Warenbestand, Gartenbestuhlung und gebuchte Veranstaltungen. Rechnung über den Verkauf der Betriebs- und Geschäftsausstattung (Kücheneinrichtung und Geschirr) i.H.v. 50.000 EUR zzgl. 8.000 EUR USt. FA Kein Vorsteuerabzug, weil es sich um eine Geschäftsveräußerung im Ganzen handelt. FG Klageabweisung 2. Entscheidung und Begründung Der BFH hat die Vorentscheidung des FG aufgehoben und der Klage stattgegeben. Dafür waren im Wesentlichen folgende Erwägungen maßgebend: Entscheidend für die Annahme einer Geschäftsveräußerung im Ganzen ist, ob das übertragene Unternehmensvermögen als Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht. Es kommt nur darauf an, ob ein Teilvermögen übertragen wird, das vom Erwerber als selbstständiges Unternehmen fortgeführt werden kann. Im Streitfall hat die Klin. mit der Anschaffung der Kücheneinrichtung nebst Geschirr von A keinen selbstständigen Unternehmensteil erworben. Zum Betrieb der Gaststätte war vielmehr noch der Abschluss des Pachtvertrages mit T erforderlich. Die Vereinbarungen des Pachtvertrages durften aber - entgegen der Auffassung des FG - nicht mit der Veräußerung des Inventars durch A zu einem Vorgang zusammengefasst werden, denn bei mehreren Leistungsbeziehungen ist nach der Rspr. des EuGH jeder Vorgang einzeln und selbständig zu beurteilen. III. Anmerkungen Die entscheidende Frage im Streitfall XI R 42/13 war, ob eine Geschäftsveräußerung im Ganzen i.S.d. § 1 Abs. 1a UStG vorliegt, wenn mehrere Leistungsbeziehungen, die in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, in einer Art "Gesamtschau" zusammengefasst betrachtet werden. 1. Entscheidung der Vorinstanz Das FG Düsseldorf hatte den Pachtvertrag mit den Eigentümern des Schützenhauses und den Erwerb des Inventars vom Vorpächter zusammengefasst und darin eine Geschäftsveräußerung im Ganzen gesehen. Entscheidend für die Frage, ob eine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorliege, sei die konkrete Gestalt des Betriebes und die Nutzung der darin zusammengefassten WG vor der Übertragung. Es sei nur der Grad der Übereinstimmung bzw. Ähnlichkeit zwischen den vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten zu würdigen. 2. Rechtsauffassung der Finanzverwaltung Die FinVerw hat sich mit der geschilderten Rechtsfrage im Abschn. 1.5. Abs. 6 S. 1 und 2 UStAE unter dem Gesichtspunkt der Übertragung von Teilvermögen befasst: Abschn. 1.5. Abs. 6 S. 1 und 2 UStAE (gültig ab 11.12.2013) "1Ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb liegt vor, wenn der veräußerte Teil des Unternehmens vom Erwerber als selbständiges wirtschaftliches Unternehmen fortgeführt werden kann (.). 2Nicht entscheidend ist, dass bereits im Unternehmen, das eine Übertragung vornimmt, ein (organisatorisch) selbständiger Unternehmensteil bestand." Vorher lautete die Regelung: Abschnitt 1.5. Abs. 6 S. 1 und 2 UStAE (gültig bis 10.12.2013) "(6) 1Ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb liegt vor, wenn er wirtschaftlich selbständig ist. 2Dies setzt voraus, dass der veräußerte Teil des Unternehmens einen für sich lebensfähigen Organismus gebildet hat, der unabhängig von den anderen Geschäften des Unternehmens nach Art eines selbständigen Unternehmens betrieben worden ist und nach außen hin ein selbständiges, in sich abgeschlossenes Wirtschaftsgebilde gewesen ist." Daraus ist ersichtlich, dass die FinVerw ab 11.12.2013 von dem organisatorisch geprägten Begriff des gesondert geführten Betriebs auf der Ebene des Übertragenden Abstand genommen hat und nunmehr auf die Erwerber-Ebene abstellt. 3. Rechtsauffassung des BFH Der BFH hat in der Besprechungsentscheidung der seit 11.12.2013 geltenden Auffassung der FinVerw eine klare Absage erteilt. Entscheidend ist danach, ob das übertragene Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht. Hinzukommen muss, dass die vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten übereinstimmen oder sich hinreichend ähneln. Wichtig ist, ob ein Teilvermögen übertragen wird, das der Erwerber als selbstständiges Unternehmen fortführen kann. Im Streitfall konnte die Klin. allein aufgrund des Übernahmevertrages mit A kein Unternehmen führen, denn insoweit war lediglich die Betriebs- und Geschäftsausstattung übertragen worden. Hinzu kommen musste ein weiteres Rechtsgeschäft, nämlich das Pachtverhältnis mit den Eigentümern des Schützenhauses. Nach Auffassung des BFH ist jede Leistungsbeziehung für sich zu würdigen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 19 MwStSystRL und § 1 Abs. 1a UStG, die von "dem Übertragenden" und "dem Veräußerer", also im Singular sprechen. § 1 Abs. 1a UStG "1Die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen unterliegen nicht der Umsatzsteuer. 2Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird. 3 Der erwerbende Unternehmer tritt an die Stelle des Veräußerers." Hinweis Die Rechtsauffassung des BFH bewegt sich ganz auf der Linie der Rspr. des EuGH. Dieser hatte in der Entscheidung "X BV" herausgestellt, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen des Art. 19 MwStSystRL und beim Vorliegen mehrerer Leistungsbeziehungen " jeder Vorgang einzeln und selbstständig zu beurteilen ist". Der BFH hat in einer weiteren Entscheidung vom 4.2.2015 (Az. XI R 14/14) diese Rechtsauffassung auf den Fall ausgedehnt, dass einzelne Unternehmensteile durch mehrere Veräußerer an verschiedene Erwerber übertragen werden. Hinweis Im Streitfall XI R 14/14 hat der BFH darauf verwiesen, dass es für die Annahme einer Geschäftsveräußerung im Ganzen i.R.e. Gesamtwürdigung entscheidend darauf ankommt, ob das übertragene Unternehmensvermögen als "hinreichendes Ganzes" die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht und ob die vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten übereinstimmen oder zumindest sich hinreichend ähneln (Tz 26 und 27 der Entscheidung XI R 14/14). Wichtig ist nur, dass ein Teilvermögen übertragen wird, das vom Erwerber fortgeführt werden kann. Die Verhältnisse beim Veräußerer spielen keine Rolle. IV. Fazit Nach der aktuellen Rspr. des BFH ist bei mehreren vom Erwerber eingegangenen umsatzsteuerlichen Leistungsbeziehungen keine "Gesamtbetrachtung" zur Begründung der Annahme einer Geschäftsveräußerung im Ganzen vorzunehmen. Jede umsatzsteuerliche Leistungsbeziehung ist einzeln und für sich zu würdigen. Entscheidend ist, ob durch die jeweilige Übertragung von Teilvermögen für sich die Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen erfüllt sind. Vgl. dazu Grune, AktStR 2012, 73 BFH-Urt. v. 18.9.2008 - V R 21/07, BStBl II 2009, 254; Abschn. 1.5. Abs. 1 S. 2 UStAE Abschn. 1.5. Abs. 1 S. 1 UStAE BFH-Urt. v. 18.1.2012 - XI R 27/08, BStBl II 2012, 842 - Nachfolgeentscheidung zu EuGH, Urt. v. 10.11.2011 - C-444/10; BStBl II 2012, 848 - Christel Schriever gegen FA Lüdenscheid; dazu Grune AktStR 2012, 73 Bei der Grundstücksveräußerung gilt allerdings § 13 b Abs. 2 Nr. 3 UStG: Danach ist der Leistungsempfänger gleichzeitig auch Steuerschuldner. Robisch, in: Bunjes, UStG, 13. Aufl., § 1 Rz 118 FG Düsseldorf, Urt. v. 12.7.2013 - 1 K 4421/10 U, EFG 2014, 1034 FG Düsseldorf, Urt. v. 12.7.2013 - 1 K 4421/10 U, EFG 2014, 1034 So auch FG Köln, Urt. v. 14.11.2007 - 4 K 605/05, DStRE 2008, 1086 Hervorhebungen im Fettdruck durch den Verfasser Vgl. Robisch, in: Bunjes, UStG, 13. Aufl., § 1 Rz 133 Vgl. Lange, BFH/PR 2015, 247 EuGH, Urt. v. 30.5.2013 - C-651/11, UR 2013, 582 EuGH, Urt. v. 30.5.2013 - C-651/11, UR 2013, 582 Rz 45 - 47
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